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DER SCHLOSSPARK SACROW ALS LANDSCHAFTSGARTEN IM BRANDENBURGER HAVELLAND

TEXT: CHRISTINA M. SCHACHTSCHABEL UNTER MITARBEIT VON UWE HELD, SCHLOSSGÄRTNER IN SACROW | FOTO (HEADER): STIFTUNG PREUSSISCHE SCHLÖSSER UND GÄRTEN / LEO SEIDEL

Auszug aus:

GARTENDESIGN INSPIRATION
Das Magazin für Gartengestaltung und Gartengenuss
Ausgabe 4|2018
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„Von diesem süßen Genuß der Freyheit, der Aussichten, der Spaziergänge, der Luft, der Kühlung, des Wohlgeruchs mit ihren Vortheilen für den Geist und die Gesundheit; von diesen frohen Umherirrungen und Zerstreuungen, diesen Belustigungen aller Sinne, an den ländlichen Scenen der Natur, diese ruhige Behandlung des Herzens, diesem angenehmen Vergessen aller Sorgen und Unruhen der Welt, diesen stillen Betrachtungen des Geists zu seinem und aller Wesen Urheber hinauf …“

Diese Eloge auf die heilende Wirkung des Seins im Garten schreibt 1779 einer der frühen Gartentheoretiker nieder. Der aus dem schleswig-holsteinischen Kirchnüchel stammende Christian Cajus Lorenz Hirschfeld beschäftigt sich in seinem vierbändigen Werk „Theorie der Gartenkunst“ ebenso feinsinnig wie grundlegend mit der Bestimmung des  Gartens seiner Zeit. Dabei erfasst der Aufklärer präzise den Zusammenhang zwischen Vernunft und Geschmack, lobt die vielen „Vortheile und Ergötzungen, die die Natur ihrem empfindsamem Freunde aufbewahrt“. An einem Ort, an dem „die Reize der Cultur über eine sich selbst überlassene Gegend sich erheben“, fände der Mensch demnach Ruhe und Innenschau, so das Konzept des sich in ganz Mitteleuropa herausbildenden Landschaftsgartens romantisch-empfindsamer Prägung.

ORTE DER INNEREN KLARHEIT UND HEILUNG

Das Konzept einer den Menschen zur Heilung verhelfenden Gartenkunst ist seit der Antike bekannt. Immer wieder sind es die Orte der Ruhe, der Heilandskirche Erbauung, der Verfeinerung der Sinne, die beschrieben worden sind. Vom mittelalterlichen Hortus conclusus als irdischem Abbild des Paradiesgartens in Klöstern über den Renaissancegarten, in dem der Mensch mittels pointiert aufgestellter Skulpturen und menschlicher Kreativität entsprungenen Fantasiegebilden seinen Platz in der Natur neu definiert, vom klassizistischen Gartenstil über das spätere „gothic“ Revival im England des 17. bis 19. Jahrhunderts bis hin zu den romantischen Gärten nach englischem Vorbild auf dem Festland, entwickelte sich der Garten zum Ausdruck der Suche nach Ruhe und innerer Klarheit.

Wie passioniert die Kraft der Natur im Zusammenspiel mit der hortikulturellen und landschaftsarchitektonischen Überformung verstanden wurde, zeigen die umfangreichen Projekte englischer Gartenkünstler wie William Kent, John Vanbrugh und Lancelot „Capability“ Brown. Letzterer ließ Landschaftsparks entstehen, in denen hunderte Kubikmeter Erdboden bewegt, Flüsse angestaut, Landschaftskanten und Hügel gegraben oder aufgeschichtet wurden. Mit ihren zahllosen Szenerien, den ausgeklügelten Wegeführungen und einer umfassenden Bodenmodellierung wurde
ein ideales Abbild der Natur in der Natur geschaffen. Gleichzeitig luden diese meist mehrere Hektar großen Gartenanlagen zum sprichwörtlichen Durchreisen ein. Hinter jedem Hügel oder Wäldchen eröffnete sich eine neue unerwartete Szenerie. Eine elementare Bedingung zur Erschließung dieser Gärten war die Bewegung. Sie konnten von empfindsamen Spaziergängern durchstreift oder per Kutsche erfahren werden wie in Petworth Park, einem landschaftskünstlerischen Großprojekt auf 280 Hektar Fläche.

Bewegung an der frischen Luft gilt heute unbestritten als einer der natürlichsten Therapie- und Heilansätze. Die Konzeption der Verfeinerung der Sinne, der inneren Bewegung, geht dem voraus, sie könnte als die Grunderfahrung des Zeitalters der Aufklärung, des Enlightenment, begriffen werden. In der introspektiven, alle Sinne umfassenden, heiter gestimmten Bewegung durch den Garten entfalten sich erst Geist, Gemüt, Fantasie und Gelassenheit als Grundlagen für rationales und aufgeklärtes Denken.

 

LENNÉS EINZIGARTIGES GROSSPROJEKT

Der zumeist aufgeklärte Geist der Zeit spiegelt sich auch in Preußens Bemühungen im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts wider. Der Prägung durch die Ideen des Musenkönigs, dem künstlerisch interessierten, zeichnenden und architektonische Projekte anstoßenden Friedrich Wilhelm IV., verdankt die Havellandschaft ihre bis heute einzigartige Gestaltung als  Großinszenierung durch Sichtachsen und wechselseitige Sichtbezüge. Vermittelt durch die Wasser der Havel, den großen und kleinen Wannsee, konnten Inseln und Halbinseln zu einer landschaftsgärtnerischen Komposition zusammenwachsen. Grundlage dafür war der durch Peter Joseph Lenné (1789 – 1866) im Auftrag des Königs entwickelte sogenannte „Verschönerungsplan der Umgebung von Potsdam“, entstanden in der Zeit von 1824 bis 1833. In diesem Projekt wurden existierende Bauten wie Schloss Glienicke, die Park- und Schlossanlagen von Potsdam, der Neue Garten, die Pfaueninsel und die kleine Landzunge von Sacrow in eine Gesamtkomposition gestellt. Lennés besondere Leistung bleibt es, eine so große Anlage gesamtgestalterisch gedacht, projektiert und in den darauffolgenden Jahren gartenarchitektonisch entwickelt zu haben. Hier prägt ganz im Sinne der englischen Vorbilder ein schöpferischer Geist eine Landschaft, modelliert sie unter Hinzunahme des Vorhandenen, schafft eine harmonische Folge verschiedener Bewegungen, die, wie Hirschfeld sagen würde, „das Große, das Mannigfaltige, das Neue, das Schöne, das Wilde und das Melancholische“ zusammenführt.

EIN KAMPANILE IN DER MARK

Der Sacrower Park kann als ein spätromantischer Landschaftsgarten bezeichnet werden. Zunächst war die Ausschmückung des Havelprospekts mit einem Kirchenneubau „im italienischen Styl“ das eigentliche Leitthema bei der Gestaltung und Entwicklung des Parks. Architekt Ludwig Persius (1803 – 1845) und Gartendirektor Peter Joseph Lenné verwirklichten dies. Die damalige Fläche des übernommenen Parks mit den neuen Erweiterungsflächen betrug rund 34,25 Hektar (gegenwärtig sind es nur noch 25 Hektar, da einige Flächen inzwischen nicht mehr zum  Landschaftspark gehören). Im November 1840 begann eine intensive Planungsphase. Verschiedene Entwürfe und Projekte lassen sich nachweisen. Die Idee eines Kirchenbaus „im italienischen Styl mit einem Campanile daneben“ am Ufer hatte sofort Dominanz. Am 10./11. November schrieb König Friedrich Wilhelm IV. einen Brief an seinen Bruder, den Prinzen Carl (1828 – 1885), Besitzer des gegenüberliegenden Parks. Diesem Brief fügte er eine eigene Entwurfs- und Lageskizze für die neue Kirche in Sacrow an. Der auserwählte  Standort war die angeschwemmte Landzunge am „Port“ (Hafen), für die Aussichten aus vielen anderen Parkanlagen ein gestalterisch besonders prägnanter Schnittpunkt.

Schloss Sacrow
Adresse:
 Krampnitzer Straße 33, 14469 Potsdam, www.ars-sacrow.de

Park Sacrow ist ganzjährig geöffnet. Das Schloss ist nur während der jährlichen Sommerausstellungen zu besichtigen.
Sonderausstellung: DER KREIS SCHLIESST SICH – STRAWALDE / JÜRGEN BÖTTCHER
Ausstellungsdauer: 21. Juli bis 7. Oktober 2018
Öffnungszeiten: Freitag bis Montag 11:00 – 18:00 Uhr
Eintritt: 8 € / Ermäßigt 5 €
Eintritt zu Abendveranstaltungen: 10 € / Ermäßigt 5 €
Am 9. September 2018 ist Tag des offenen Denkmals in Sacrow, ab 15 Uhr sind Führungen im Schloss, im Park und der Heilandskirche bei freiem Eintritt zu besuchen. Um 18.30 Uhr wird im Spiegelsaal des Schlosses der Dokumentarfilm „Gärtner führen keine Kriege“ (siehe auch „GARTENDESIGN INSPIRATION“, Ausgabe 1/2017, S. 114-115) in Anwesenheit des Regisseurs Jens Arndt und des Produzenten Joachim von Vietinghoff gezeigt. Der Film gewann 2017 den Deutschen Denkmalpreis.
Veranstalter: Ars Sacrow e. V.
Gesamtleitung: Joachim von Vietinghoff
Kuratorische Mitarbeit: Christina M. Schachtschabel in Zusammenarbeit mit Galerie Kunstkontor Sehmsdorf Potsdam, Freybeuter

GARTENKUNST UND GARTEN IN DER KUNST

Hirschfeld interpretierte den Beruf des Gartenkünstlers universell, neben der Beeinflussung der Sinne, der Wahrnehmung, sollte auch immer das Gemüt erreicht, sollten Emotionen erzeugt werden. Bei Lancelot Brown stand die raffinierte optische Erweiterung des Grundstücks der Bauherren häufig im Vordergrund. Mit mehrfach geschwungenen Ufern seiner künstlichen Seen, den berühmten Ha-has, Bodenabsenkungen oder Landschaftskanten, die als Gemarkung funktionierten und gleichzeitig das Landschaftsbild ins Unendliche zu erweitern schienen, kreierte er Abbilder der Landschaft – Landschaftsgemälde in der Landschaft. Erfasst hat dies der englische Maler William Turner, der nach 1829 länger auf Petworth House bei seinem Förderer Earl of Egremont weilte, in seinen großformatigen Bildern voll irisierender Zartheit. Seine Werke werden aktuell ständig in der Londoner National Gallery gezeigt, in Gegenüberstellung zu Werken des französischen Malers Claude Lorrain. Damit schließt sich der Kreis. Der Franzose Claude Lorrain (1600 – 1682) arbeitete fast ausschließlich in Rom und gilt als Begründer der Landschaftsmalerei, die wiederum zur Inspiration für die gartenkünstlerischen Schöpfungen der Engländer wurden. Ein Kuriosum der Zeit ist das Aufkommen des Claude Glass, einem optischen Vehikel aus konvex geschliffenem Glas, durch das besondere Szenerien der Parkanlagen als zusammengefasstes, leicht gekrümmtes Gemälde en miniature wahrnehmbar wurden.

An der Havel wurde ein Landschaftsbild, man könnte sagen „in vielen Bildern“, entwickelt. Von der Landzunge des Schlossparks Sacrow ist das Ergebnis sichtbar. Am prägnanten Schnittpunkt des Ports steht bis heute eine Römische Bank. Das Original ist über die Jahrhunderte verfallen, die jetzige Adaption ist eines der ersten Werke des britischen Büros Chipperfield Architects in Potsdam.

 

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